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10.6.16

Die Wagemut


Auf dem kargen Boden einer toten Welt, zwischen den aufragenden Ruinen einer längst erloschenen Zivilisation ruhte ein kleines Erkundungsschiff. Wie ein Staubkorn reflektierte es die letzten Schimmer der blauen Sonne, in deren schwindendem Licht sich die Silhouetten der Pioniere abzeichneten, die hastig von ihrer Expedition zurückkehrten. Unter dem ermüdenden Druck der hohen Schwerkraft kämpften sie sich durch die Ödnis, vorbei an fremdartigen Raumschiffwracks und okkulten Tempelresten. Hinter ihnen zog ein bedrohlicher Wolkenbruch auf und ein tückischer Wind peitschte Asche gegen ihre Visiere. Einer von ihnen schleppte einen sichtlich schweren Behälter mit sich. Als sie an der Schiffsrampe ankamen, begannen sie wild zu gestikulieren.

„Ich muss noch ein letztes Mal zurück! Wir können diese Mengen an Wissen nicht zurücklassen“, stammelte der Mann mit dem Behälter. 
„Verdammt, Lee! Uns läuft die Zeit davon“, brüllte die Stimme des Mechanikers über den internen Funk im Schutzanzug. „Wenn wir nicht in der nächsten halben Stunde abheben, zerfetzt uns der Sturm!“
„Er hat recht. Es ist zu riskant“, bekräftigte Pavlov. Er betätigte einen Schalter und die Rampe begann sich zu schließen. 
Lee öffnete ehrfürchtig den Behälter und entnahm ihm einen glühenden scharfkantigen Metallsplitter. „Was ist das überhaupt für ein Ding? Das sieht gefährlich aus. Vielleicht sollten wir es hier lassen, wenn wir nicht wissen, was es ist. Wir haben ja die Daten, die wir brauchen.“
Cortez kratzte den Dreck von ihrem Kapitänsabzeichen. „Ich begrüße deine Vorsicht, Dubois, aber es bleibt an Bord. Je mehr wir mitnehmen, desto besser“, sagte sie entschieden und marschierte zur Luftschleuse. Wenig später wirbelte das Raumfahrzeug eine Staubwolke unter sich auf und setzte mit einem Dröhnen ab.

Im Inneren der Wagemut fühlte man sich viel wohler. Beim Austritt aus der unwirtlichen Atmosphäre durchfuhr sie ein leichtes Ruckeln, das problemlos stabilisiert wurde. Ihre Triebwerke ließen einen hellen Schweif hinter sich als sie den Orbit verließ.
Sie war nicht gerade das widerstandsfähigste Schiff aber eines der schnellsten und verlässlichsten ihrer Zeit. Selbst die größten interstellaren Strecken konnte sie mühelos in wenigen Jahren zurücklegen. Dennoch war die Besatzung immer noch auf Kälteschlaf angewiesen, da die extremen Belastungen der Reise auf Dauer schwere physische und psychische Schäden verursachten. Um trotzdem Instandhaltung der Technik, Gesundheit der Passagiere, Analyse von Proben und organisatorische Führung zu gewährleisten, wechselten sich drei Teams zu je vier qualifizierten Fachkräften alle paar Monate ab. Das jeweils aktive Team kommandierte das Schiff während die anderen schliefen; ein strukturiertes System um diverse Missionen in weit entfernten Gebieten mit Effizienz zu absolvieren. Die Crew der Wagemut durchquerte bereits über zwei Jahrzehnte die unerforschten Weiten des Alls und nach dieser letzten Operation soll sie nun endlich heimkehren um Licht auf die vielen Geheimnisse der Galaxis zu werfen.

Aber die Reise hatte sie verändert. Die vier Kadetten, die an der Akademie zu besten Freunden und ausgezeichneten Astronauten wurden, waren nicht mehr dieselben. Die Zeit verformte sie und hinterließ zerstörerische Spuren.
Lee ist vor seiner Karriere beim Raumfahrtprogramm Astrophysiker gewesen und jagte von einer Universität zur nächsten um jeden von seinen revolutionären Theorien zu überzeugen. Heute war er noch immer ein brillanter Geist, redete aber ab und zu mit sich selbst in unverständlichen Lauten und fühlte sich außerhalb seines Labors sehr unwohl.
Pavlov, der jüngste der Mannschaft, war ein kompetenter Arzt, sowohl auf dem Schiff als auch auf fremdem Boden. Er hatte den Biss einer giftigen Pflanze in den wandernden Wäldern von Dhranos lI überlebt und einen tödlichen Virenausbruch an Bord verhindert, aber seine depressiven Episoden, die nun immer häufiger auftraten, hatte er nicht im Griff.
Schiffsmechaniker Dubois war ein muskelbepackter Brocken. Er ist es schon damals gewesen und war es immer noch. Die Narbe an seiner Schläfe zeugte von seinem Kampfgeist und seine moralisierenden Worte halfen der Crew oft wieder auf die Beine. Doch seit geraumer Zeit machte er einen zunehmend aggressiven Eindruck.
Kapitänin Cortez war Ehrenabsolventin an der Akademie und überzeugte mit ihrem außergewöhnlichen Ehrgeiz und ihren tadellosen Ergebnissen. Sie führte ihr Team mit großem Geschick und fand in den aussichtslosesten Situationen immer einen Ausweg. Im Laufe der Jahre verlor sie jedoch ihr hübsches Lächeln und zeigte nurmehr eine ernste Miene.

Lee sah gespannt auf den Bildschirm und strich sich über die Halbglatze. Ein derartiges Mysterium war ihm noch nie untergekommen. Egal wie viele Scans er auch machte und egal wie oft er sie analysieren ließ, immer wieder schien die selbe rot leuchtende Meldung auf: „Hohe Energieemission“. Die Messungen überschritten jeden Grenzwert und der Oberfläche konnte mit jeglichem Werkzeug nicht mal ein Kratzer zugefügt werden. Er nahm seine Brille ab und wollte es noch einmal mit eigenen Augen betrachten. Vorsichtig betastete er das metallartige Objekt und studierte die kunstvollen Gravierungen. Er fuhr mit den Fingerspitzen entlang, spürte die Wärme, die schwache Vibration, die ungeheure Kraft. Er malte sich sehnsüchtig den Tag aus, an dem er als Erster die unergründlichen Rätsel des Artefakts entschlüsseln konnte, die unvorstellbares Wissen aus ältesten Zeiten hüten mussten. Bei diesem Gedanken zitterte er am ganzen Körper und ein blindes Verlangen leuchtete in seinen Augen.

Er zuckte zusammen als sich die Tür hinter ihm zischend öffnete. Cortez, Pavlov und Dubois betraten das Labor. 
„Gibt es erste Resultate?“, fragte Cortez kühl. 
„Nun ja. Eins ist sicher: Einen Fund wie diesen werden wir nie wieder machen. Er zeigt eine unglaublich hohe Energiesignatur auf. Möglicherweise ist es eine Art Speicher oder so etwas wie ein Miniatur-Kraftwerk. Die Technologie übersteigt unser gesamtes Wissen in allen Forschungsgebieten. Ich fürchte, eine vollständige Analyse ist erst zuhause möglich“
Pavlov seufzte, Dubois schnaufte verächtlich und Cortez blieb starr, die Arme verschränkt. Enttäuschte Stille füllte den Raum. 
Pavlov brach als erster die Ruhe: „Wie gefährlich ist es, das Objekt an Bord zu behalten? Sind diese Strahlen schädlich?“
Lee senkte bedrückt den Kopf. „Es besteht ein gewisses Risiko“, sagte er kleinlaut. 
„Welches Risiko?“
Er deutete auf die Graphen der Messungen. „Ein solches atomares Verhaltensmuster erinnert im entferntesten an die veraltete Technologie der Energiegewinnung durch Kernspaltung. Wenn man diesen Zerfallsprozess nicht richtig kontrolliert und das Niveau weiter ansteigt, dann könnte die Lage etwas kritisch werden“
„Verdammt, Lee! Ich hab dir doch gesagt du sollst den Schrott auf diesem verfluchten Planeten lassen!“, unterbrach ihn Dubois. „Was, wenn uns das ganze Schiff um die Ohren fliegt?“
Pavlov nickte nachdenklich. Lee sah stirnrunzelnd zu Dubois. Der wiederum wandte sich der obersten Offizierin zu. Dann befahl Cortez entschlossen: „In Ordnung, Männer. Wir haben viel zu tun. Dubois, du überprüfst den Interstellar-Antrieb und berechnest eine Route nach Hause! Pavlov, sieh nach den anderen Teams und kontrollier die Versorgung! Und Lee: Sieh zu, dass du diesen… Energiestein stabilisierst und wieder unter Verschluss bringst! Wir fliegen heim und überlegen uns unterwegs eine annehmbare Lösung.“
Die Mannschaft schwärmte aus und die Kapitänin zog sich in ihr Quartier zurück.

Dubois saß an seinem Platz auf der Kommandobrücke und tippte Koordinaten ein. Er konzentrierte sich auf die Sternkarte während seine Finger geschickt über die Tastatur huschten. Über dem Monitor hingen mehrere Bilder. Auf einem stand „Team Alpha“ und es zeigte vier Raumfahrer, die sich freundschaftlich umarmten. Daneben klebte eine alte Fotografie einer herzlich lachenden Familie. „Ankunftszeit berechnet“, meldete der Navigationscomputer. Seine Finger verharrten. Für einen Moment starrte er fassungslos auf den Schirm. Dann warf er einen sehnsüchtigen Blick auf das Familienfoto und begriff, um wie viele Jahre die Menschen darauf gealtert sein mussten. Seine Züge verzerrten sich zu einer schrecklichen Grimasse aus Zorn und Schmerz. In ihm brodelten Emotionen, er ballte Fäuste und stieß einen leidvollen Schrei aus. Sein Verstand wurde mit Verzweiflung geflutet und er schleuderte einen Stapel Taschencomputer vom Tisch. Nachdem er schwer atmend die Beherrschung wiederfand, hob er die Geräte auf und hoffte, dass ihn niemand gehört hatte.

Pavlov überprüfte indes die Körpertemperaturen seiner schlafgefrorenen Kollegen. Die Kältekammer mit dem kühlen blauen Licht und dem Rauschen der Luftfilter erinnerten ihn an die Eishölle auf dem Mond von Ferrbus 98b. Er hasste die Kälte. Und noch mehr den Kälteschlaf. Seiner Meinung nach hätte diese veraltete Technologie nicht weiter verwendet werden sollen und er war sich sicher, dass die heimischen Raumfahrtgenies bereits ein viel fortschrittlicheres Schiffsmodell ohne Schlafkammern konstruiert haben. Jedes Mal, wenn seine Schicht zu Ende war und er sich in die Kühlzelle legte, wünschte er sich, nie mehr aus dem kalten Traum aufzuwachen. Auf ewig zu schlafen, bis das Universum um ihn herum verschwamm und er keinen Tag länger in dieser Blechbüchse gefangen sein musste. 
„Dann wären wir für immer vereint, meine Liebe“, flüsterte er und drückte seine Stirn gegen das eiskalte Glas zwischen ihm und dem frostigen Körper einer Frau.

„…hoffe ich nichtsdestotrotz die Moral der Besatzung beisammenzuhalten und die Krise schnellstmöglich zu lösen bevor Team Beta geweckt wird. Unter meinem Kommando wird dies die erfolgreichste Mission unseres Zeitalters und ich werde keine Mühen scheuen um den größten Profit und ein unbeschädigtes Schiff zurückzubringen. Cortez, Ende.“
Sie speicherte das Videotagebuch und nahm einen tiefen Atemzug der künstlichen Luft. Dann stand sie auf und ging hinaus in den Korridor. Jeder einzelne ihrer Schritte hallte den weißgrauen Tunnel entlang und fühlte sich schwerer an als der vorige. Vor der Tür des Versammlungsraumes zog sie ihre Uniform straff, richtete ihr verblichenes Rangabzeichen und strich eine ergraute Strähne hinters Ohr. Dann betätigte sie die Steuerkonsole.

Die Tür glitt auf. Die anderen warteten bereits und salutierten als sie eintrat. 
„Setzt euch, Gentlemen. Wir haben einiges zu bereden.“
Sie nahmen alle an dem runden Konferenztisch Platz. Dubois startete eine Kartenprojektion, Pavlov suchte eine Liste auf seinem Taschencomputer, Lee kratzte verlegen an der Tischplatte.
„Fangen wir an“, sagte Cortez und begann Notizen zu machen. „Wie lange wird der Heimflug dauern?“
„Wir sind jetzt hier… Der sicherste und schnellste Weg wäre… dort um den Gasnebel herum und dann einen Lichtsprung nach Alpha Centauri. Geschätzte Flugdauer beträgt… drei Jahre, zwei Monate und zehn Tage.“
„Wird das der Antrieb schaffen?“
„Klar! Die Alte ist bis auf die kaputte Musikanlage völlig intakt.“
„Sehr gut. Wie sehen unsere Vorräte aus?“
„Sauerstoff, Wasser und Energie haben wir genug, Kapitänin. Aber dank dem Abstecher ins Tagarim-System reichen unsere Lebensmittel nur mehr für ungefähr zwei Jahre und zehn Monate. Wir werden die Nahrung rationieren, dann sollte das kein Problem darstellen.“
„Gut. Vitalwerte der anderen Teams?“
„Gesund und stabil. Beta wird planmäßig in einer Woche aktiviert“
„Ausgezeichnet. In drei Tagen schreibe ich den Bericht für Team Beta, bis dahin muss die Situation entschärft sein. Ich will, dass die Strahlung rund um die Uhr überwacht und aufgezeichnet wird. Ist das klar, Lee?“
„Natürlich. Ich kümmere mich sofort darum.“
„Also gut. Ich weiß, unsere Schicht ist fast vorüber und wir alle wären am liebsten jetzt schon zuhause. Aber ich bitte euch angesichts der aktuellen Umstände Haltung zu wahren und erwarte mir von jedem von euch vollste Konzentration und fehlerfreie Arbeit. Ihr seid entlassen.“
Sie machten sich auf den Weg. Nur Cortez blieb alleine am Besprechungstisch sitzen.

Lee saß allein in der Kombüse und stocherte mit zittrigen Händen gedankenverloren in seiner hydrierten Mahlzeit. Dubois kam herein und seine Miene änderte sich schlagartig als er seinen zerstreuten Kollegen sah. 
„Wie siehst du denn aus?“, fragte er spöttisch, nahm sich eine Portion und gesellte sich zu ihm. 
„Hm? Ach, nichts… Ich konnte nicht schlafen“, murrte er und nahm einen Bissen von dem Brot. Es schmeckte ihm nicht. 
Sie saßen sich gegenüber und kauten ihr künstliches Mahl ohne sich anzusehen. 
„Äh, du hast gesagt, dass der komische Stein wie ein Kraftwerk funktioniert“, erinnerte sich Dubois schmatzend. „Heißt das, man könnte damit eine Maschine antreiben?“
Ohne den Kopf zu heben antwortete Lee: „Theoretisch nicht auszuschließen. Aber solange ich nicht die richtigen Gerätschaften habe, ist nichts sicher. Wieso fragst du?“
Er schluckte und sagte fast beiläufig: „Naja, wäre doch toll. Das würde die Energiekrise zuhause lösen und gleichzeitig die Industrie ankurbeln.“
„Stimmt“, bestätigte Lee. „Aber noch sind wir nicht zuhause.“

Das monotone Brummen der Generatoren, das zeitweilige Blubbern in den Wassertanks, das gelegentliche Piepen der Bordcomputer. All das war so statisch wie in den Jahrzehnten zuvor. Nur das unheilvolle Summen, das aus der verschlossenen Stahlkassette drang, wurde von Stunde zu Stunde lauter.

„Antreten zur Lagebesprechung!“, ertönte die Stimme von Kapitänin Cortez aus den Lautsprechern. 
Pavlov wischte sich die Tränen aus dem Gesicht bevor er sich auf den Weg machte. Die Erinnerungen an seine Geliebte ließen ihn nicht los. Er fühlte sich elend und die vielen Tabletten hatten es nur noch schlimmer gemacht. Kurz überlegte er noch, ob er umkehren sollte um in den Spiegel zu sehen. Er musste furchtbar aussehen. Aber es war ihm mittlerweile egal. 
Er kam als Letzter an aber niemand beachtete ihn. Den anderen schien es ähnlich schlecht zu gehen. Die ersten paar Minuten der Besprechung zogen an ihm vorbei. Erst als Cortez fragte, ob jemand Vorschläge hätte, kehrte seine Aufmerksamkeit zurück.
„Wir müssen Team Beta wecken!“, rief er lauter als beabsichtigt. „Wir können uns mit ihnen beraten. Schließlich stehen auch die Leben der anderen Passagiere auf dem Spiel.“ Seine Stimme bebte und er kämpfte mit seinen Gefühlen. 
„Unmöglich. Das ist gegen die Vorschriften“, wies Cortez ihn ab.
Jetzt konnte er es nicht mehr zurückhalten. „Du und deine verfluchten Vorschriften! Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, gehen wir noch alle drauf!“
„Verdammt richtig, Pavlov! Ich war von Anfang an dagegen und bin es leid mir diese Tirade anhören zu müssen. Lee hätte diese Zeitbombe dort lassen sollen, wo er sie gefunden hat!“
„Das ist keine Bombe sondern unsere bisher wertvollste Entdeckung! Dieses Artefakt ist viel zu bedeutend um es nicht mitzunehmen. Wir brauchen es!“
„Du allein brauchst es! Ich hab’ genug von deinem Wissenswahn!“
„Untersteh dich, du unterbelichteter…“
„Ruhe!“
Die Besatzung verstummte und die Ranghöchste hatte wieder das Wort. Sie musterte ihre Kollegen und erkannte sie nicht wieder. In Pavlovs enttäuschtem Gesicht sah sie große Sorge. Dubois war von Zorn erfüllt und spannte jeden einzelnen Muskel an. Lee wirkte, als hätte ihn der Wahnsinn erfasst.
„Morgen stimmen wir ab“, verkündete sie mit gespielter Souveränität. Sie wusste, dass sie das Vertrauen der Mannschaft verloren hatte.

Als Cortez aufwachte, hatte sie starke Kopfschmerzen. Sie erinnerte sich an den grauenvollen Traum aus dem sie erwacht ist. Vielleicht hatte Pavlov ein Schmerzmittel? 
Stöhnend stand sie auf und rieb sich die Augen. Sie wollte seinem Quartier einen Besuch abstatten und vielleicht ein paar persönliche Worte mit ihm wechseln. Aber auf dem Weg dorthin hatte sie es sich anders überlegt. 
Die Kapitänin hat sich doch für nichts zu entschuldigen und schon gar nicht zu rechtfertigen. „Ich lasse mich bestimmt nicht durch stumpfsinnige Sentimentalität schwächen“, dachte sie sich und vergrub ihre Gefühle unter der unumstößlichen Ratio.

Die Tür war offen, also trat sie ein. Aber Pavlov war nicht hier. Eine unheilvolle Vorahnung beschlich sie als unweit entfernt das Signal einer Türkonsole ertönte. Im Laufschritt eilte sie in Richtung Kältekammer. Durch die offene Tür sah sie schon von weitem, wie sich ein Mann an der Steuerung des Kühlsystems zu schaffen machte. Sie rannte auf ihn zu. 
„Pavlov!“ Er reagierte nicht. 
„Pavlov!“ Sie riss ihn gewaltsam fort vom Steuerpult. 
„Nein! Lass mich! Ich muss das tun! Bitte! Ich liebe sie! Nein!“, schrie er wie verrückt. 

Da war es. Die emotionale Vernichtung. Der quälende Schmerz. Er war entstellt vor Liebe. Und trotzdem hielt sie ihn fest und zerrte ihn weg. Er widersetzte sich nicht mehr. Mit einem unbeholfenen Schluchzen gab er auf. „Ich kann einfach nicht mehr…“

Sie wollte gerade etwas sagen als plötzlich Stimmen einer wilden Auseinandersetzung durch den Korridor hallten. 
„Finger weg! Was hast du vor? Bist du verrückt? Stopp! Du weißt nicht, was du da tust!“ Es war Lee, der entsetzt kreischte. 

Cortez ließ den Arzt los und stürmte davon. Pavlov folgte ihr, sichtlich verwirrt. Sie kamen zum Maschinenraum und fanden Lee regungslos am Boden. Daneben lag ein aufgebrochener Behälter. Jener, der den unseligen Fund unter Verschluss halten sollte. Es zischte und blitzte. Dubois drehte sich zu ihnen um. Mit Tränen in den Augen lächelte er erwartungsvoll. 

„Heimat“, sagte er noch mit bebenden Lippen bevor die zerstörerische Kraft des Artefakts in den Antrieb floss. Blendend weißes Licht flutete den Raum als die Wagemut durch die gewaltige Druckwelle der energetischen Überladung zerrissen wurde. Die Reste der vier verbrannten Körper schwebten zusammen mit den acht gefrorenen hinfort ins endlose Schwarz.

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