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22.8.15

Die Hütte















Du hast dich verlaufen, dachtest, du schaffst es noch irgendwie zurück auf den Weg. War er nicht gleich dort vorne? Nein, aus der Richtung bist du gerade gekommen. Du bist verwirrt, weißt nicht wohin. Deine Sinne drehen sich. Dein Hirn windet sich, wehrt sich gegen die Anstrengung. Deine Haut spannt sich fester um deine, vor Kälte zuckenden, Muskeln. Du reibst dir fest die Lider und konzentrierst dich. Als deine Augen scharf stellen, suchst du ein weiteres Mal die Umgebung ab.
Nebeldurchsetzte Dunkelheit schwebt unheilvoll über dem grauen fruchtlosen Boden. Aus dem kargen Untergrund wachsen nicht, sondern stechen förmlich schenkeldürre Bäume, die eher Klauen ähneln. Als wären sie nicht eigenartig genug, scheinen sie nie enden zu wollen. Ihre schmalen Stämme bohren sich kerzengerade in den sternlosen Nachthimmel, den nur der volle Mond erhellt. Trotz ihrer unnatürlich endlosen Höhe kannst du ihre Blätter in deinen Ohren säuseln hören, beinahe so als würden sie sich unterhalten, obwohl absolute Windstille herrscht. Spröde Zweige knacken unter deinen Sohlen, als du dich endlich für eine Richtung entschieden hast.
Mit schnellen Schritten irrst du zwischen den schwarzen Säulen umher. Die eisig dunstige, mit einem fauligen Geruch durchzogene, Luft schmeckt ekelhaft bitter und deine Zunge dürstet es nach Wasser. Aber all das merkst du nicht. Du nimmst es wahr, kannst aber keinem Gefühl, keinem Sinneseindruck, keinem Instinkt vertrauen weil du immer nur an eine einzige Sache denken kannst. Du willst hier weg. Alles was du im Moment begehrst, ist, diesem Ort so fern, wie nur irgend möglich zu sein, aber trotzdem bist du hier. All die Gedanken, Sorgen und Ängste ignorierst du. Stur stolperst du über Dreck und Kiesel. Immer weiter. Immer schneller. Immer verzweifelter. Der Atem entflieht dir, deine Glieder schmerzen und deine Finger frieren. Bloß nicht stehenbleiben, bloß nicht zurückblicken, es gibt nichts zu befürchten. Bloß nicht stehenbleiben, bloß nicht zurückblicken, es gibt nichts zu…
Was war das? Da war doch ein Geräusch. Ein Flüstern, wie das der Bäume, nur dass es nicht von oben kam. Da! Schon wieder. Aber da ist nichts. Kein lebendes Wesen in Sicht aber trotzdem spürst du einen Blick auf dir ruhen. Das Flüstern setzt jetzt dauerhaft ein. Unverständlich, indirekt, rauschend; aber vor allem unheimlich. „Das bildest du dir ein! Ist doch Blödsinn!“, sagst du dir aber die Kälte ist nicht das Einzige, das an dir zehrt. Das Flüstern steigert sich. Angsterfüllt schaust du dich um. Mit suchendem Blick starrst du in die schwarze Nacht. Aus den Augenwinkeln glaubst du etwas bemerkt zu haben und drehst dich um. Das gesichtslose Antlitz eines Baumes glotzt dich an. Erleichtert drehst du dich wieder zurück als plötzlich ein gellendes Kreischen die zischelnde Atmosphäre zerreisst. Er dringt dir durch Knochen und Gedärm und zerschmettert jeglichen Zweifel an Gefahr. Aber genauso plötzlich wie er entbrannte, machte er wieder der Stille Platz. Jetzt ist alles stumm. Sogar die stetig gesprächigen Bäume lauschen. Langsam bewegst du deine mittlerweile tauben Beine. Kein einziger Gedanke schwirrt mehr in dir. Als wären alle Stimmen der Vernunft erdrosselt, schreitest du in die eine unbekannte Richtung weiter fort. Und der Wahnsinn nimmt langsam von dir Besitz. Du kämpfst dagegen an, versuchst, nicht auf die Stimmen, die in deinem Inneren widerhallen zu hören aber je mehr du dich wehrst, desto stärker beginnt er an dir zu nagen. Etwas versucht in dich einzusickern und die Verlockung, es zuzulassen ist einfach zu groß. Du spürst, wie ein nichtmaterieller Hauch dir durch die fast vereisten Beine schießt, wie er sich deine Schenkel hinauf schlängelt und sich durchs Gedärm wühlt, als ob es nach etwas suchen würde. Du musst dich erbrechen aber deine sture Entschlossenheit treibt dich mit bändigender Kraft vorwärts. Dein Verstand und deine Sicht sind schon lange ein undurchschaubarer Morast, doch plötzlich vernimmst du einen schwachen Lichtschimmer im Nebel der alles beherrschenden Dunkelheit.
Die Entdeckung schürt auch dein inneres Licht, das mittlerweile zu einem kleinen Flämmchen verkümmert ist, und mit neugewonnener Hoffnung und Stärke erlangst du wieder die Kontrolle über Körper und Geist. Dein Atem gibt dir Kraft, deine Hände ballen Fäuste und deine durchfrorenen Glieder sprengen mit der Spannung deiner Muskeln die dich umklammernde Frostschicht ab. Schritt um Schritt marschierst du verbittert auf den Lichtschein zu, doch auch das innere Ungeziefer gibt nicht auf. Nun ist es schon in deiner Brust und streift dein Herz um den rasend schnellen Rhythmus zu erwürgen. Langsam kriecht es weiter, Zentimeter um Zentimeter, alles durchdringend krabbelt es deinen Hals hinauf. Du läufst so schnell du kannst, näherst dich dem Licht und glaubst, bereits etwas erkennen zu können. Als der fiese Hauch deine Kehle einnimmt und dir den Atem entreißt, bist du schon fast da. Es ist… ein Haus, nein, eine Hütte. Aus einem Fenster strömt warmes Licht und die alte Holztür steht weit offen. Mit letzten Kräften hechtest du hinein und schließt hinter dir die Tür, mit zitternden verkrampften Händen und einem lauten Krachen, während du langsam in einen tiefen Schlaf fällst…

Pst, es ist hier! – Wo? – Seht doch! – Endlich! – Was geschieht nun? – Ein hässliches Ding. – Wie es wohl schmeckt… – Ruhe! –  – Alles zu seiner Zeit, lasst es uns einmal näher betrachten… – Sieht aus wie eine Art Mensch. – Ein wenig bleich für ein Fleischwesen… – Natürlich, wir haben es ja auch ganz schön erschreckt. – Harharhar! – Ist es ein Weibchen oder die andere Sorte? – Hm, sehen alle gleich aus… – Huch, es lebt ja noch! – Still jetzt! Es kommt zu Bewusstsein…

Du erwachst. Mit schmerzenden Gliedern erhebst du dich aus der Starre. Deine Umgebung widert dich an. Was ist das für ein Ort? Boden, Decke und Wände bestehen aus einer schwarzen, stinkenden Masse. Deine Füße quälen sich durch den weichen Untergrund und mit einem ersten unsicheren Schritt versuchst du voranzukommen. Aber… wohin? Du siehst dich um, musst aber erkennen, dass du in einem kleinen, ungefähr 10 Schritte großen, Raum gefangen bist. Wieso siehst du überhaupt etwas? Alles um dich herum ist schwarz aber trotzdem kannst du eindeutig die sich windenden Konturen des Materials erkennen aus denen dieser Raum – nein, eher diese Zelle – besteht. Und wo kommt die Luft her? Jeder Atemzug lässt die Frage in dir aufschreien, was du da eigentlich atmest. Und diese Ruhe… Was ist das hier? Vorsichtig näherst du dich einer Wand. Deine Augen schweifen gründlich über Blasen, Geschwülste und... Adern? Deine Hand nähert sich unkontrolliert einer hervorquellenden Röhre und berührt sie. Die schleimig-schmierige Konsistenz vergiftet dir die Sinne. Ekel überkommt dich und in einem Moment der Unsicherheit, ob du nun schreien oder erbrechen musst, spürst du eine Bewegung, die deine Hand sofort zurückschnellen lässt. Geschockt weichst du zurück, nur um kurz darauf mit dem Rücken gegen eine weitere Wand zu stoßen und da ist es wieder. Panisch meidest du alle Wände aber du kannst es auch unter deinen Füßen spüren. Es durchdringt dich und bebt durch dich hindurch, bis du es letztlich nicht mehr leugnen kannst. Du hörst ein dumpfes Pochen und spürst einen rhythmischen Puls. Poch, poch... poch, poch. Du befindest dich in einer Zelle aus schwarzem, lebendem Fleisch oder gar in einem abnormalen Wesen. Die Erkenntnis durchschlägt dein Hirn. Und jetzt erinnerst du dich…
Wie es dir ständig gefolgt ist. Jeden deiner Schritte beobachtet hat. Getarnt als harmloser Baum und einladende Hütte. Und die Spielchen, die es mit dir getrieben hat. Nach deiner Unwissenheit gelechzt hat es. Und sich von deiner Angst ernährt. Solange bis es dir den Verstand entrissen hat. Es hat dich glauben lassen, dass du dagegen ankämpfst. Dabei hat es dich nur tiefer ins Dunkle getrieben. Und die Pein hat dich geschwächt. Dich verwundbar gemacht. Es hat dir zugeflüstert. Und du hast verstanden. Bist auf sein Geheiß in den Schlund seiner Obskurität getappt. Du musst besessen sein. Aber von was? Was ist „es“?

Das ist unser Stichwort! – Wer sagt denn das wir ein „es“ sind? Wir sind ein „wir“. Ihr Menschlinge seid uns am Liebsten. Denken es gibt nur Wesen mit je einem Bewusstsein. – Ja! Da wo wir nämlich herkommen gibt es etwas wie eure sogenannte „Ordnung“ nicht. – Was schaust du denn so beklemmt? – Wir sind eine Emanation des Chaos. Du hast unser Reich betreten und nun müssen wir dich bestrafen! – Naja, wir wollen… – Beuge dich unserem Willen oder lass deinen Verstand hier drin verrotten. – Genau! – Na, mach schon! – Oder… Wir könnten ihn einfach verzehren. – Jaaah! – Hm, gar keine schlechte Idee… – Es könnte ein stabiles Bewusstsein bilden. – Wir hatten schon so lange keinen Menschen mehr! – Stimmt. Aber trotzdem brauchen wir einen weiteren Wirt in der Menschenwelt. Na los, kehre zurück in dein kümmerliches Leben und verbreite das Chaos! – Genau! – Sei unser Wirt! – Verbreite das Chaos! – Kehre zurück! – Na los! – Verbreite das Chaos! – Kehre zurück! – Sei unser Wirt! –…

„Wachen Sie auf. Wachen Sie auf! Hören Sie mich? Aufwachen! Na, bitte! Ruhig, ruhig. Sehen Sie mich an. Beruhigen Sie sich. Sehen Sie mir in die Augen… Was haben Sie gesehen? Wie bitte? Haben Sie etwa alles vergessen? Oh, ich Narr! Ich hätte es wissen müssen… Schon gut. Nein, ich werde ihnen natürlich nichts berechnen. Selbstverständlich werden Sie weitere Unterstützung bekommen. Gemeinsam mit meinen Kollegen versuche ich ihr Problem in den Griff zu bekommen. Wir sehen uns dann nächste Woche? Gut. Ach, etwas wäre da noch! Versuchen Sie niemandem davon zu erzählen. Unsere Methoden im Bereich der Hypnotherapie sind nicht besonders angesehen, wenn überhaupt legal. Also gut, bis zum nächsten Mal. Auf Wiedersehen!“

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